«Jeder Einkauf ist ein Stimmzettel» Bio Suisse Präsident Urs Brändli zur Pestizid- und Trinkwasser-Initiative

11. November 2020

Im Sommer 2021 kommen zwei Initiativen zur Abstimmung, die für die Landwirtschaft grosse Bedeutung haben. Entsprechend laut ist der Abstimmungskampf rund um die Pestizidverbot- und Trinkwasserinitiative schon heute. Die Haltung von Bio Suisse wurde mit Spannung erwartet, denn der Verband nimmt eine Vorreiterrolle in Punkto Nachhaltigkeit und Schutz von Ressourcen ein.


Die Trinkwasser-Initiative

Trinkwasser ist ein kostbares Gut. Sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrungsmittel sollen in der Verfassung verankert werden. «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» Die Initiative fordert, dass die Subventionen an die Landwirtschaft nur für Bewirtschaftungsweisen ausgerichtet werden, welche die Gesundheit und die Umwelt nicht gefährden und das Trinkwasser nicht verschmutzen. Die Initiative benennt das Problem der offenen Kreisläufe durch Kraftfutter-Importe. Somit dürften Bauernbetriebe nur noch so viele Tiere halten, wie ohne Futtermittel-Importe ernährt werden können.

Die Pestizid-Initiative

«Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» will den Einsatz synthetischer Pestizide landesweit verbieten. Das Verbot soll in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege gelten. Auch alle importierten Produkte unterliegen diesen Kriterien. In der Schweiz gäbe es somit nur noch pestizidfrei hergestellte Produkte zu kaufen.
Weitere Informationen: www.bio-suisse-themen.ch 
An der gestrigen Delegiertenversammlung wurde die Ja-Parole zur Initiative für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide gefasst. Die Parolenfassung zur Trinkwasserinitiative erfolgt im nächsten Frühling. Bio Suisse-Präsident Urs Brändli nimmt Stellung.

Urs Brändli, was ist die Haltung von Bio Suisse zur Trinkwasser- und Pestizid-Initiative?

Für uns ist es wichtig, die beiden Initiativen differenziert zu betrachten: Wir befürworten die Pestizid-Initiative und sind klar «für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide». Die Initiative steht in direkter Verbindung mit unseren Grundwerten. Da auch importierte Produkte diesen Anforderungen entsprechen müssen, sehen wir eine ganzheitliche Herangehensweise, eine geteilte Verantwortung: Nicht nur Schweizer Landwirte, sondern das gesamte System trägt dazu bei. Bio Suisse fördert eine «Schweiz sans pesticides», dafür werden wir uns stark machen.
Bei der Trinkwasser-Initiative ist die Sache kniffliger. Die Delegiertenversammlung konnte sich deshalb auch noch nicht auf eine Parole einigen. Grundsätzlich teilen wir die Anliegen der Initiative in weiten Teilen. Wir alle wollen eine nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung. Gleichzeitig hat die Initiative auch Mängel in ihrer Formulierung. Die Umsetzung würde in der landwirtschaftlichen Praxis das Aus für viele Bio-Betriebe bedeuten: Es dürften nur noch so viele Tiere gehalten werden, wie eigene Futtermittel zur Verfügung stehen. Das ist vor allem für kleinere Betriebe mit innerer Aufstockung wie Schweinehaltung oder Legehennen ein Problem. Dass wir jetzt erst in einem halben Jahr die Parole fassen, gibt uns Zeit, diese Zielkonflikte zu lösen.

Wie läuft eigentlich der Meinungsbildungsprozess bei Bio Suisse?

Der Vorstand trifft sich dreimal jährlich mit den Präsidentinnen und Präsidenten der Bio Suisse Mitgliedorganisationen und Kommissionen. An diesen Konferenzen werden die zwei Delegiertenversammlungen vorbereitet und strategische Stossrichtungen diskutiert. Die offizielle Haltung von Bio Suisse wird aufgrund einer Mehrheitsentscheidung bei der Delegiertenversammlung getroffen.Das Ergebnis dieser Abstimmung gilt für den Verband. In diesem Fall setzen wir ein deutliches Zeichen mit einem Ja von 64 Stimmen für die Pestizid-Initiative.

Bio Suisse hat sich für einen Gegenvorschlag zur Trinkwasser-Initiative stark gemacht, wieso kam dieser nicht zustande?

Wir haben die Initianten schon vor Beginn der Unterschriftensammlung auf die Mängel der Trinkwasser-Initiative hingewiesen. Dann haben wir auf politischer Ebene intensive Gespräche geführt und uns für einen Gegenvorschlag stark gemacht. Das Parlament, damals in bürgerlicher Zusammensetzung, hätte mit einem ambitionierten Gegenvorschlag einen gangbaren Weg aufzeigen können. Leider ist dies nicht gelungen.

Bio Suisse kritisiert bei der Trinkwasser-Initiative unter anderem die «Fokussierung auf die Landwirte als alleinige Problemverursacher». Wie können denn Konsumentinnen und Konsumenten innerhalb der Wertschöpfungskette Verantwortung übernehmen?

Wir alle haben als Konsumenten eine tragende Rolle: Jeder Einkauf ist ein Stimmzettel, bzw. eine Bestellung. Was wir täglich konsumieren, einkaufen und wofür wir unser Geld ausgeben, bestimmt auch, was produziert wird. Bewusster Konsum bedeutet, zu wissen, welche Industrie und Produktionsmethoden man mit seinem Einkauf unterstützt. Das gilt bei Lebensmitteln ebenso wie bei Kleidung, Mobilität, etc. Wenn Konsumenten hauptsächlich günstig einkaufen wollen, geschieht dies in der Regel auf Kosten von anderen. (z.B. Einbussen beim Tierwohl, schlechte Umweltaspekte, mangelnde soziale Verantwortung). Beim Einkauf kann man bereits Wert legen auf möglichst umweltverträgliche Produkte, die fair und schonend hergestellt sind. Allenfalls bedeutet dies ein Verzicht oder eine Mässigung bei gewissen Produkten zu Gunsten von anderen. Gerade im Bereich Lebensmittel gibt es viele Möglichkeiten bewusster und verantwortungsvoller einzukaufen – die Bio Knospe bietet hierfür eine Orientierungshilfe.


Und welche Rolle haben Politik und Verwaltung?

Die öffentliche Hand muss die Verbreitung von umweltverträglichen Produkten unbedingt stärker fördern. Heute sind biologische Produkte lange nicht überall erhältlich, gerade in der Gastronomie und Gemeinschaftsgastronomie gibt es viele Lücken (sprich: kaum Bio-Speisen in Spitälern, Kantinen, Schulmensen). Auch müsste die Preisgestaltung anders aussehen – warum werden umweltbelastende Hilfsstoffe immer noch mit reduzierten Mehrwertsteuern verkauft? Und Folgekosten oder Schäden die ein Produkt verursacht, sollten im Sinne von Kostenwahrheit im Preis einkalkuliert werden. Heute ist leider das Gegenteil der Fall: Je günstiger ein Produkt ist, desto höher sind in der Regel die Mehrkosten für die Gesellschaft.

Eine rigorose Umstellung auf biologische Landwirtschaft – mit der Trinkwasser- und Pestizid Initiative würde es rasant in diese Richtung gehen. Ist dies nicht ein erstrebenswertes Ziel?


Das stimmt, aber wir dürfen die Realität am Markt nicht ignorieren. Nur ein kleiner Teil der Konsumenten setzt heute konsequent auf Bio-Lebensmittel. Wir würden uns über ein Bio-Land Schweiz freuen. Aber wenn der Konsum nicht mitzieht und statt Schweizer Bio dann günstige Import-Produkte gekauft werden, passiert eher das Gegenteil. Zudem würden die Bio-Preise enorm unter Druck geraten, und damit die Existenz vieler Biobetriebe gefährden. Bei «Schweiz ohne Pestizide ist die Gefahr für die (Bio-) Bauern klein, da auch alle gewerblichen Importe die gleichen Anforderungen erfüllen müssen.

Wie sehen Sie die Haltung der Agrarlobby, die sowohl die Pestizid- also auch die Trinkwasser-Initiative ablehnt?


Zum einen zeigen die Bauern-Unternehmer Felder, die keine Pflege erhalten und so kaum Ertrag bringen. Das hat absolut nichts mit Bio zu tun. Denn jeder Bio-Bauer pflegt und schützt seine Kulturen, einfach mit anderen Methoden. Auch werden die negativen Auswirkungen von zugelassenen Pestiziden verharmlost. Es stimmt nicht, dass biologisch bewirtschaftete Felder kaum Ertrag bringen, im Gegenteil. Bio-Bauern beschäftigen sich intensiv mit der Gesunderhaltung der Böden, fördern die Biodiversität, arbeiten mit Fruchtfolgen, setzen auf Nützlinge, sie bekämpfen Pilze mit Gesteinsmehl und sind äusserst innovativ. In den letzten Jahren machte der Biolandbau enorme Fortschritte, und die Erträge konnten dank Unterstützung der Bio-Forschung und der Bio-Züchtung laufend gesteigert werden. Der heutige Einsatz von synthetischen Pestiziden führt zu Rückständen in Gewässern, Umwelt, und selbst auf Lebensmitteln. Damit verbunden nimmt der Rückgang der Biodiversität bedrohliche Ausmasse an, das Insektensterben ist eine Tatsache! Es dauert immer sehr lange, bis vermeintlich «harmlose Mittel» aus dem Verkehr gezogen werden – wir sprechen hier von einem Zeithorizont von 25 Jahren und mehr. Dann ist der Schaden jedoch bereits verursacht und die nächste Generation muss dies ausbaden.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Die biologische Landwirtschaft ist beweist, dass eine schonende Bewirtschaftung keine finanzielle Ertragseinbusse bedeutet. Bio lohnt sich für mich als Landwirt doppelt. Ich erziele mehr Wertschöpfung und erhalte gleichzeitig mehr Wertschätzung. Unsere Bio-Bäuerinnen und Bio-Bauern haben viel Wissen, sie pflegen die Böden, fördern die Biodiversität und dies bei einem gleichzeitig guten Ertrag. Die Schweiz hat heute einen Netto-Eigenversorgungsgrad von rund 50% und wir könnten in Punkto nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen. Das dazu nötige Forschungs-Know-How, das Wissen und die Erfahrungen sind vorhanden. Wünschen tue ich mir eine rücksichtsvolle und schonende Produktion und einen nachhaltigen Konsum der Bevölkerung. Machen wir uns gemeinsam auf diesen enkelwürdigen Weg!
Maya Frommelt im Gespräch mit Urs Brändli, Präsident Bio SuisseFotos: Archiv Bio Suisse

Zur Person

Urs Brändli ist seit 2011 Präsident von Bio Suisse. Aufgewachsen ist er in Samstagern (ZH), seine landwirtschaftlichen Lehrjahre hat er in der Romandie absolviert, ehe er die Meisterprüfung am Strickhof absolvierte. Brändli führte in Goldingen (SG) einen Betrieb, den er 1994 auf Bio umgestellt hat. Er ist verheiratet und Vater dreier erwachsener Kinder. Sein Sohn hat den Bio-Betrieb seit 2015 übernommen.
Teilen