Niklaus Iten, bio-familia: «Bio wird konkurrenzfähiger, wenn Verursacher für Umweltschäden aufkommen müssen»
12. November 2018
Das Original Bio-Birchermüesli von bio-familia ist schon seit sechzig Jahren ein Renner. Die Müesli-Pionierin mit Sitz in Sachseln OW, die zur Hipp-Gruppe gehört, produziert heute rund 14'000 Tonnen Müesli pro Jahr, rund zehn Prozent davon in Knospe-Qualität. Niklaus Iten, Leiter Qualitätsmanagement bei bio-familia und Präsident der Interessengemeinschaft Bio Schweiz (IG Bio), erklärt im Interview, welche Rolle Bio bei bio-familia heute spielt und warum für ihn bei der Weiterentwicklung der Bio-Produktepalette das quantitative Wachstum im Vordergrund steht.
Herr Iten, welche Bedeutung hat Bio für bio-familia?
Bio ist tief in der DNA von bio-familia verankert. Am Anfang stand die Idee, ein Birchermüesli mit Bio-Rohstoffen herzustellen: Unser «Ur-Birchermüesli», für das verschiedene Bio-Rohstoffe gemischt werden, wurde 1959 lanciert und wird heute noch produziert. Wir verarbeiten rund 260 Rohstoffe, dreissig Prozent davon in Bio-Qualität. Wir hätten gerne generell einen höheren Bio-Anteil. Unser Handlungsspielraum ist jedoch beschränkt, denn wir bedienen eine Nachfrage – ob Bio oder nicht, das entscheiden die Kundinnen und Kunden.
Woher kommen die Rohstoffe für Ihre Produkte?
Für die Bio-Produkte stammen insbesondere Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel, Zucker und Äpfel aus schweizerischem Bio-Anbau. Rohstoffe, die nicht, nicht in ausreichender Menge oder nicht in der gewünschten Qualität in der Schweiz verfügbar sind, beziehen wir aus dem Ausland: Neben den Rohstoffen aus der Schweiz beziehen wir Waren aus Europa, aber «exotische» Zutaten natürlich auch weltweit. Würde der Import von Bio-Rohstoffen allzu sehr eingeschränkt, täte man den Schweizer Bio-Bäuerinnen und -Bauern keinen Gefallen. Nehmen Sie zum Beispiel ein Bio-Müesli, das gut ankommt und von dem fünf von fünfzehn Zutaten importiert werden. Könnten wir dieses Müesli wegen Importbeschränkungen nicht mehr herstellen, würde auch von den zehn Schweizer Zutaten weniger gebraucht.
Wo sehen Sie die Herausforderungen bezüglich Bio-Produktion?
Wir brauchen vor allem attraktive Rezepturen für Bio-Produkte, damit noch mehr Konsumentinnen und Konsumenten bereit sind, den höheren Preis zu bezahlen. Allerdings stossen wir beim Preis an, weil die Umweltkosten der konventionellen Landwirtschaft nicht in die Rohstoffpreise miteingerechnet werden. Solange keine Kostenwahrheit existiert, solange hat die Bio-Produktion nicht den Anteil, den sie angesichts der gravierenden Umweltprobleme effektiv haben müsste.
Das «Symposium Bio 2018: Klasse und Masse» widmet sich der Frage, wie die Bio-Branche quantitatives Wachstum ohne Qualitätsverlust schafft. Sehen Sie einen Widerspruch der beiden Anliegen?
In der Schweiz sind wir bei einem Anteil von rund 15 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die biologisch bewirtschaftet wird, weltweit bei rund einem Prozent. Der Bio-Anteil müsste aber bei zwanzig, vierzig, oder gar sechzig Prozent liegen! Wir müssen angesichts der Herausforderungen in den Bereichen Wasser, Klima und Ressourcen die quantitative Entwicklung der Bio-Produktion stärker fördern. Die Grundanforderungen von Bio in der Landwirtschaft sind definiert, die rechtlichen Vorgaben müssen gelten. Bei der Verarbeitung der biologisch produzierten Rohstoffe sollten wir uns das Leben aus meiner Sicht aber nicht mit Qualitätsdiskussionen schwer machen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Gewisse lebensmitteltechnologische Verfahren können einen Mehrwert haben und die Attraktivität eines Produktes steigern, beispielsweise die Extrusion. Bio Suisse schreibt eine schonende Verarbeitung vor, weshalb Extrusionen, die zum Teil starke Scherkräfte, hohen Druck und hohe Temperaturen mit sich bringen, nur sehr beschränkt zugelassen sind. Wenn die Extrusion für viele Anwendungen verboten ist, fragt sich: Welche Konsequenzen hat dieser Entscheid auf das Gesamtsystem? Dient es dem langfristigen Ziel, weniger Umweltbelastung durch mehr Bio-Produktion zu erreichen? Die Grenzen in der Verarbeitung von Knospe-Produkten sollten meiner Meinung nach nicht zu eng gesteckt werden.
Welche Qualitätskriterien sind Ihnen bei Bio-Rohstoffen denn wichtig?
Einfach gesagt: Der Rohstoff muss die entsprechenden Bio-Vorgaben ohne Wenn und Aber erfüllen. Darauf vertrauen wir. Alles andere ist nicht anders als bei einem konventionellen Rohstoff: Da geht es um Allergene, Fremdkörpersicherheit, Mikrobiologie, allgemeine Produktqualität und so weiter. Wir haben einen riesigen Kriterienkatalog für die Qualität eines Rohstoffs, und Bio ist nur einer von vielen Faktoren, die wir berücksichtigen müssen. An erster Stelle steht immer die Lebensmittelsicherheit. Das Problem ist: Schraubt man die Bedingungen für Bio-Produkte unnötig hoch, wird es schwieriger, Zutaten in der nötigen Qualität zu finden. Ein Produkt wird dann vielleicht gleichwohl hergestellt, aber mit konventionell statt biologisch produzierten Rohstoffen.
Sie sind Präsident der IG Bio. Welche Rolle übernimmt diese in der Wertschöpfungskette?
Die 2015 gegründete IG Bio vertritt branchenübergreifend die Interessen der mittlerweile über fünfzig Unternehmen in der Schweizer Bio-Wertschöpfungskette von der Verarbeitung über den Handel bis zum Verkauf. Ein Thema, das uns beschäftigt, ist der Umgang mit Rückständen in Bio-Lebensmitteln. Wir setzen uns generell für gute politische, wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen für unsere Mitglieder ein und arbeiten eng mit Behörden und Verbänden zusammen.